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Sternenkinder - wenn sie sich verabschieden, bevor sie sichtbar werden

Es war kurz nach der Hochzeit, als ich plötzlich wusste – ohne dass ich es wissen konnte – dass ich schwanger war. Kein Test, kein Arzt hatte mir das bestätigt, doch meine Brüste spannten sich mit einer mir bis dahin unbekannten Zärtlichkeit, mein Körper begann, in seiner eigenen Sprache zu sprechen, leise noch, beinahe flüchtig, wie ein erstes Zittern im Frühling, wenn das Licht sich langsam in die Erde tastet, und mein Herz, das sich noch gar nicht an das „Wir“ gewöhnt hatte, begann sich auszuweiten, auf ein „Du“ hin, das sich noch nicht gezeigt hatte.

Ich war in Sumatra, inmitten des Dschungels, der mir mit seinem dampfenden Grün sonst ein Gefühl von Abenteuer und Weite schenkte, und plötzlich wurde mir jeden Morgen übel, eine bleierne Übelkeit, die nicht nur den Magen, sondern auch meine Sinne verdunkelte, als würde mich eine fremde Welle erfassen, eine, die nicht das Leben bringt, sondern es aus mir hinauszuziehen schien. Der Geruch des Sambals, das Erdnussöl, die Schärfe des Chilis – alles, was ich zuvor geliebt hatte, wurde mir unerträglich, zu heiß war es, zu feucht, die Luft klebte an meiner Haut wie ein schwerer Vorhang, ich konnte kaum noch atmen, und irgendwann wagte ich mich kaum mehr hinaus aus meinem Zimmer, aus meiner kleinen Höhle, in der ich zunehmend das Gefühl hatte, mir selbst abhandenzukommen.

Ich fiel in etwas, das ich nicht Depression nennen wollte, aber das sich genauso anfühlte – eine Art innerer Nebel, ein Ausgesetztsein in mir selbst, das mir Angst machte. Denn ich wusste: So wollte ich nicht schwanger sein. So wollte ich kein Kind auf dieser Welt willkommen heißen. Und doch wusste ich auch, dass ich nichts davon ändern konnte.


Später reiste ich zu einer Freundin nach Indien, zu einer Hochzeit voller Farben, Musik und alter Riten, bei denen das Leben gefeiert wurde, doch ich fühlte mich wie ein Schatten unter den Feiernden. Die älteren Frauen legten ihre Augen auf mich, als wollten sie in mir lesen, und sagten: „Du bist nicht schwanger.“ Mein Bauch schien nicht zu wachsen, er wurde eher kleiner, meine Haut fühlte sich seltsam trocken an, als hätte selbst sie das Wasser verloren, das neues Leben trägt, und obwohl ich alles in mir danach ausstreckte, dieses kleine Wesen endlich wirklich zu spüren, blieb da nur ein Echo – leise, fern, nicht greifbar.

Für die Geburt wollte ich nach Deutschland zurückkehren. Der Flug sollte von Kuala Lumpur aus starten. Mein Mann und ich reisten noch gemeinsam durch Südostasien, eine Art letzte Zweisamkeit vor dem großen Wandel – so hatten wir es uns vorgestellt. Doch in mir wuchs ein anderer Wunsch: Ich wollte in die Stille, ich wollte zurückkehren in das Schweigen, das mich immer wieder an meinen innersten Kern geführt hatte. Ich meldete mich für ein Vipassana-Retreat an – zehn Tage ohne Worte, ohne Blickkontakt, ohne Ablenkung, nur ich, mein Atem, mein Körper, mein Geist.

Ich kannte diese Form der Einkehr, ich wusste, wie fordernd sie sein würde, und doch spürte ich, dass ich genau das brauchte – ein Zurück zu mir, um dem Kind in mir besser begegnen zu können. Doch was dann geschah, hatte ich nicht erwartet: Ich spürte es kaum. Ich konnte es nicht fühlen, nicht in meine Gedanken holen, nicht in meine Gebete einschließen. Stattdessen war da nur ich – meine Sorgen, meine Zweifel, mein Wunsch zu verstehen, warum ich mich so allein fühlte inmitten eines Wunders, das doch so viele als das Schönste der Welt beschrieben.


Nach dem Retreat kam mein Mann nach Kuala Lumpur, und als ich im Auto saß, um ihn vom Flughafen abzuholen, begann mein Körper plötzlich zu sprechen – laut, drängend, in einem Ton, den ich nicht überhören konnte. Es fühlte sich an, als würde meine Gebärmutter sich lösen, als würde etwas in mir weichen, als müsste ich mich festhalten an jedem Atemzug, um nicht zu zerfallen. Bei jedem Hubbel auf der Straße wurde mir übel, und als ich ihn endlich in die Arme schließen konnte, sah ich in seinen Augen etwas, das ich bis heute nicht vergessen habe – ein Wissen, das mir voraus war.

Die Blutungen begannen fast augenblicklich. Dunkel. Schwer. Unverkennbar. Wir fuhren sofort ins Krankenhaus. Ich erinnere mich an die Kälte der Kacheln, an den Geruch der Desinfektion, an die Einsamkeit inmitten all der Menschen. Ich ging auf die Toilette, und in der Schüssel lagen Stücke von dem, was ich in mir getragen hatte – Gewebe, Schleimhaut, Fragmente eines möglichen Lebens. Ich war stumm vor Schmerz. Ich war leer und gleichzeitig übervoll.

Der Arzt schaute mich nicht wirklich an, seine Stimme war sachlich, beinahe teilnahmslos. „Das Baby ist nicht mehr am Leben. Vermutlich schon seit vier, fünf Wochen.“ Ich war in der 16. Woche. Der Fötus war viel zu klein. Die Entwicklung hatte in der neunten Woche aufgehört. Und mein Körper hatte gehalten, getragen, gewartet – auf was? Auf meinen Mann? Auf einen geschützten Ort für den Abschied? Auf mich?

Es fühlte sich an, als würde eine Welt zerspringen – nicht krachend, sondern in lautlosem Staub, wie Seifenblasen, die in der Luft zerplatzen, ohne dass man sie berühren musste. Ich hatte keinen Plan B. Mein ganzer Blick war auf dieses Kind gerichtet gewesen, auf das Leben, das ich damit beginnen wollte. Mein Herz lag in seinen kleinen Händen – doch sie hatten sich längst zurückgezogen.

Ich musste mich entscheiden: Warten, bluten, hoffen, dass es natürlich geht – oder operieren lassen. Ich entschied mich für Letzteres. Ich wollte nicht mehr länger in diesem Zustand dazwischen leben – nicht mehr Leben, nicht mehr Tod.

Im OP stellte mir der Anästhesist eine belanglose Frage, ich weiß nicht mehr welche, und dann wurde alles weiß. Ich schwebte. Ich sah mein Leben. Ich sah meine Familie. Ich sah meinen Mann. Und dann – Licht. Und die Gewissheit: Ich darf bleiben. Ich will leben.

Als ich aufwachte, fühlte ich mich leer, nicht wie eine Frau, die etwas verloren hatte, sondern wie eine, die nie ganz schwanger war. Es war, als hätte man ein Geheimnis aus meinem Körper entfernt – spurlos fast, und doch blutete alles in mir. Ich weinte. Leise. Laut. Nachts. Am Tag. Immer wieder. Der Körper lebte, aber die Seele war still.


Zwei Wochen später saßen wir am Strand von Koh Lanta. Die Sonne ging unter, die Wellen küssten das Ufer, und ich sah in den Himmel. Dort, zwischen Wolken, tauchte sie auf – wie aus einem anderen Traum – ein Engel aus Licht, fliederfarben, klein, mit ausgebreiteten Armen. Und ich wusste: Sie ist da. Sie ist gegangen, aber nicht verloren. Sie ist frei. Und alles ist geführt – auch wenn wir es erst im Rückblick erkennen.

Malia. Ein Name, den sie nie hören konnte. Ein Herzschlag, den ich nie spürte. Und doch wird sie für immer mein erstes Kind sein. Meine erste Hoffnung und mein erster Abschied.


ree

 
 
 

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